Für einen viel zu kurzen Sonntag war
ich auf der at.tension #4.
Dieses Theaterfestival findet alle zwei
Jahre auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Militärflugplatzes bei Lärz im Kulturkosmos Müritz in
Mecklenburg statt. In diesem Jahr vom 09. bis zum 11. September mit
praktischer Campmöglichkeit für ein Theaterwochenende.
(Eure wahrscheinlich nicht allzu
aufschweifende Kenntnis über die Dörflis Mecklenburgs will ich an
dieser Stelle verzeihen und Euch auf die Sprünge helfen:
hier findet alljährlich das
wohl besser bekannte Fusion-Festival statt.)
Die Schauplätze der at.tension sind
einzigartig, auf alten Landebahnen, in und auf geschwungenen, von
Gras überwachsenen Hangars – überall ebenso spannende Menschen,
die meisten mit einer Flasche Club Mate in der Hand.
Apfelkrapfen hier, Kürbis-Kokos-Suppe
da, Chai dort – allein für die kulinarische Erkundung scheint mir
mein Sonntag zu kurz.
Hier für Euch ein kleines Resumee der
Aufführungen, die ich gesehen habe.
Ein Fuchs wird Kükenpapa. Und
widersteht seinem Heißhunger auf Entenbraten.
Eine zuckersüße Geschichte mit
flauschfusseligen Kükchen, einem roten Mantel, der zum Fuchs wird,
und einer erzliebenswerten Puppenspielerin, die Kükeneier aus ihrem
Nestdutt hervorzaubert und aus einer Pfanne einen Ententeich werden
lässt.
Um dieses Duo zu beschreiben, benutze
ich mal ein angestaubtes Wort: verschmitzt.
Die beiden improvisieren lockig-flockig
und nehmen ihr junges Publikum ebenso ernst wie die erwachsenen
Zuschauer. Da gehört zu den Gesangsspezialitäten der Katze das
Chanson, wenn's sein darf, dann rappt sie aber auch lautstart gegen
das "SYSTÖÖÖM!!"
Ungeheuer witzig, clever gespielt, mit
feiner Tendenz zur Politsatire und letztlich einem unbeschwerten
Umgang mit dem Puppentheater an sich, wenn der handpuppige Esel die
ihm zugereichten Pappkulissen aufbaut und um Applaus für die Technik
bittet.
Ich dachte immer, beim Seiltanz geht es
um den Staunensvorgang, wenn Menschen über Schnüre schweben,
während ich über den Gartenschlauch stolpere.
Das hier ist anders.
Die schöne junge Frau, den Blick
voller Neugier, kommt in einem Autoreifen angerollt, ein
Goldfischglas bei sich und einen Wecker. Sie erforscht, sucht,
schaukelt, tanzt, träumt, zu ebenso traumhafter und energiegeladener
Musik
Sie verlässt die Bühne mit einem
Fisch in ihrem Glas, den sie sicher im Reifen verwahrt mit sich
zieht, verfolgt von einer Traube entzückter Kinder. Hinter sich
lässt sie das Publikum, angerührt von ihrer tänzerischen Poesie.
Magisch.
Klickt Ihr auf ihren Programmnamen,
findet Ihr auf ihrer Website einen Videoquerschnitt.
David Fernandez spielt E-Cello und baut
damit ein Universum futuristischer Klänge, die auf klassische
Elemente prallen und mit ihnen verschmelzen. Mit Hilfe einer
Loopstation klingt er wie ein Orchester.
Er spielt zudem szenisch auf
außergewöhnliche, extrovertierte Art mit seinem Werkzeug, dem
Instrument, und das nicht gerade materialschonend – er zerreißt
einen Bogen mit den Zähnen, spannt die Saiten aus seinem Cello und
verwandelt sich in eines, indem er sich selbst damit bespannt.
Die Musik ist einzigartig, wirkt
unglaublich ungebunden an Konventionen – so bewegt er sich auch -
tanzt, verzweifelt, kämpft.
Auf seiner Website findet Ihr rechts
ein Fensterchen für einen Videoausschnitt seines Programmes.
Festivalbonus für mich: als sich der
Höhepunkt seines Spiels näherte, begann es zu regnen, alles wirkte
schlicht noch spektakulärer – unzählige Menschen, die gebannt im
Regen sitzen und auf einen tobenden Cellisten blicken.
Eine fünfköpfige schwedische
Tanzgruppe ließ sich von der Videospielthematik zu einer furiosen
Choreografie zu elektronischen Klängen inspirieren.
Bis ins kleinste Detail exakt wird hier
über die Bühne gefegt, allermeistens attacca wird gelaufen,
gesprungen, selbstverteidigt, ausgeteilt – bis zum Game Over.
Gefeiert vom Publikum.
Hier haben wir ein weiteres spannendes
Genre, das dokumentarische Theater.
Erlebt habe ich die Geschichten zweier
Menschen, die Asyl suchen – erlebt, weil sie berühren, weil sie
still sind in der Art ihrer Aufführung, unfassbar stark jedoch in
ihrem Inhalt. Unfassbar in all den Erlebnissen der Menschen, die auf
der Flucht sind aus ihrem Land, das sie – auf welche Art auch immer
– verletzt, und die ungeheures Glück brauchen, aber auch ungeheure
Stärke haben, in Sicherheit und eine Art von Zuhause zu finden.
Die erste Produktion der Bühne für
Menschenrechte – sie selbst sprechen besser für sich, ich empfehle
die Website.
So, das als kleinen Eindruck für Euch,
ein kurzer Tag, ein unglaubliches Spektrum an Möglichkeiten des
Theaters und des Darstellens für mich.
Merkt Euch die at.tension #5 vor.
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