Dienstag, 13. September 2011

at.tension #4


Für einen viel zu kurzen Sonntag war ich auf der at.tension #4.

Dieses Theaterfestival findet alle zwei Jahre auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Militärflugplatzes bei Lärz im Kulturkosmos Müritz in Mecklenburg statt. In diesem Jahr vom 09. bis zum 11. September mit praktischer Campmöglichkeit für ein Theaterwochenende.

(Eure wahrscheinlich nicht allzu aufschweifende Kenntnis über die Dörflis Mecklenburgs will ich an dieser Stelle verzeihen und Euch auf die Sprünge helfen:
hier findet alljährlich das wohl besser bekannte Fusion-Festival statt.)

Die Schauplätze der at.tension sind einzigartig, auf alten Landebahnen, in und auf geschwungenen, von Gras überwachsenen Hangars – überall ebenso spannende Menschen, die meisten mit einer Flasche Club Mate in der Hand.
Apfelkrapfen hier, Kürbis-Kokos-Suppe da, Chai dort – allein für die kulinarische Erkundung scheint mir mein Sonntag zu kurz.

Hier für Euch ein kleines Resumee der Aufführungen, die ich gesehen habe.



Ein Fuchs wird Kükenpapa. Und widersteht seinem Heißhunger auf Entenbraten.
Eine zuckersüße Geschichte mit flauschfusseligen Kükchen, einem roten Mantel, der zum Fuchs wird, und einer erzliebenswerten Puppenspielerin, die Kükeneier aus ihrem Nestdutt hervorzaubert und aus einer Pfanne einen Ententeich werden lässt.



Um dieses Duo zu beschreiben, benutze ich mal ein angestaubtes Wort: verschmitzt.
Die beiden improvisieren lockig-flockig und nehmen ihr junges Publikum ebenso ernst wie die erwachsenen Zuschauer. Da gehört zu den Gesangsspezialitäten der Katze das Chanson, wenn's sein darf, dann rappt sie aber auch lautstart gegen das "SYSTÖÖÖM!!"
Ungeheuer witzig, clever gespielt, mit feiner Tendenz zur Politsatire und letztlich einem unbeschwerten Umgang mit dem Puppentheater an sich, wenn der handpuppige Esel die ihm zugereichten Pappkulissen aufbaut und um Applaus für die Technik bittet.



Ich dachte immer, beim Seiltanz geht es um den Staunensvorgang, wenn Menschen über Schnüre schweben, während ich über den Gartenschlauch stolpere.
Das hier ist anders.
Die schöne junge Frau, den Blick voller Neugier, kommt in einem Autoreifen angerollt, ein Goldfischglas bei sich und einen Wecker. Sie erforscht, sucht, schaukelt, tanzt, träumt, zu ebenso traumhafter und energiegeladener Musik
Sie verlässt die Bühne mit einem Fisch in ihrem Glas, den sie sicher im Reifen verwahrt mit sich zieht, verfolgt von einer Traube entzückter Kinder. Hinter sich lässt sie das Publikum, angerührt von ihrer tänzerischen Poesie. Magisch.
Klickt Ihr auf ihren Programmnamen, findet Ihr auf ihrer Website einen Videoquerschnitt.



David Fernandez spielt E-Cello und baut damit ein Universum futuristischer Klänge, die auf klassische Elemente prallen und mit ihnen verschmelzen. Mit Hilfe einer Loopstation klingt er wie ein Orchester.
Er spielt zudem szenisch auf außergewöhnliche, extrovertierte Art mit seinem Werkzeug, dem Instrument, und das nicht gerade materialschonend – er zerreißt einen Bogen mit den Zähnen, spannt die Saiten aus seinem Cello und verwandelt sich in eines, indem er sich selbst damit bespannt.
Die Musik ist einzigartig, wirkt unglaublich ungebunden an Konventionen – so bewegt er sich auch - tanzt, verzweifelt, kämpft.
Auf seiner Website findet Ihr rechts ein Fensterchen für einen Videoausschnitt seines Programmes.
Festivalbonus für mich: als sich der Höhepunkt seines Spiels näherte, begann es zu regnen, alles wirkte schlicht noch spektakulärer – unzählige Menschen, die gebannt im Regen sitzen und auf einen tobenden Cellisten blicken.



Eine fünfköpfige schwedische Tanzgruppe ließ sich von der Videospielthematik zu einer furiosen Choreografie zu elektronischen Klängen inspirieren.
Bis ins kleinste Detail exakt wird hier über die Bühne gefegt, allermeistens attacca wird gelaufen, gesprungen, selbstverteidigt, ausgeteilt – bis zum Game Over. Gefeiert vom Publikum.



Hier haben wir ein weiteres spannendes Genre, das dokumentarische Theater.
Erlebt habe ich die Geschichten zweier Menschen, die Asyl suchen – erlebt, weil sie berühren, weil sie still sind in der Art ihrer Aufführung, unfassbar stark jedoch in ihrem Inhalt. Unfassbar in all den Erlebnissen der Menschen, die auf der Flucht sind aus ihrem Land, das sie – auf welche Art auch immer – verletzt, und die ungeheures Glück brauchen, aber auch ungeheure Stärke haben, in Sicherheit und eine Art von Zuhause zu finden.
Die erste Produktion der Bühne für Menschenrechte – sie selbst sprechen besser für sich, ich empfehle die Website.


So, das als kleinen Eindruck für Euch, ein kurzer Tag, ein unglaubliches Spektrum an Möglichkeiten des Theaters und des Darstellens für mich.
Merkt Euch die at.tension #5 vor.

Und ich kauf' schon mal ein Zelt.


Donnerstag, 8. September 2011

Ödnis Aufenthaltsbahnhof.

Aus welchem Grund ist Twitter zauberschön?

Mein Zug wird in Berlin halten und nicht so schnell weiterfahren. Ödnis Aufenthaltsbahnhof!
Auch, wenn es sich hier um den Hauptbahnhof von Berlin und nicht denjenigen von Klein Klockow o.ä. handelt.
Immerhin könnte man sich in dem Einen dem "Amusement" des Schaufensterbummelns hingeben, in dem Anderen eher der Betrachtung der regionalen Bahnsteigrandsflora - aber es geht hier bitteschön ums Prinzip.

Was hat das nun mit Twitter zu tun?
Sofort sind da drei zauberhafte Menschen, die mir meinen Aufenthalt verkürzen, wenn nicht gar versüßen möchten.

Dankeschön, @Einstueckkaese und @arschhaarzopf!
Ich freu mich auf Euch.


Samstag, 6. August 2011

До свидания.

Ich laufe durch die sonnige Kleinstadt, fühle mich vollkommen dehydriert, kaufe das billigste Mineralwasser im nächsten Supermarkt und habe das Bild wieder vor Augen:
das schöne russische Fräulein, das keine Grillfestkolareste auf die Wiese schütten will und den Vorgang, wie es ein anderer tut, mit flammenden Gebärden und "Zisch, zisch!"-Rufen begleitet.

Sie wird bald gehen. Ich hasse Verabschiedungen. Das ist zu viel Ruby Tuesday für mich.
Sie geht aus dem verschlafenen Nest fort, das sie zuletzt verletzte, in eine Stadt, die nicht nur riesig, laut und irgendwie hip und funky ist, sondern die sie liebt.

Ich freue mich für sie, von Herzen, und vermisse sie schon jetzt, seit Wochen.
Lose your dreams and you might lose your mind.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Staubkörnchen im Unbewussten.

"Oh, oh. Du bist ertappt. Denk schnell nach, wie Du da wieder rausfindest. Ganz ruhig. Abstreiten geht immer!"

Das ist der minimal aufgedröselte Gedankenstrom, der durch mein Köpfchen fließt - während dieser Zeit nur von meinem zur Salzsäule erstarrten Körper gehalten - höre ich Variationen der einleitenden Formel "Du hast zwar nicht mit mir darüber gesprochen, aber..."
Es ist ein Reflex, da ist nichts zu machen!

Es wird mir doch zweifellos erst kürzlich wieder ein unbequemer Gedanke aufgekommen sein, den mein theatralisch veranlagter Dickschädel sich auf dem Gesicht zu deutlich hat anmerken lassen.
(Muss ich fliehend aus Ciociu Joannas fahrendem Wagen springen, bevor sie mich etwas Unangenehmes sagen lässt?
War ich zu sentimental und muss mich nun von dem schönen russischen Fräulein mit einem landestypischen Fluch belegen lassen?)

Manchmal kann ich nicht anders, als ein Bild von durch die Luft schwirrender gedachter Gedanken vor Augen zu haben, die sich in die Gehörgänge und ins Unterbewusstsein Anderer setzen wie Staubkörnchen.

Grübele ich in nicht allzu uninteressierter Weise über die Brüste der Damen mit dem wallend roten Haar, und rauscht in just diesem Moment ihr Mann auf eine Handbreit an mich heran (Verflucht seid ihr, ihr  rollenden Bürostühle!), mit prüfendem Gesicht ("Ich will nur wissen, ob Du eingeschlafen bist."), dann glaube ich einfach an keinen Zufall mehr.

(Jedoch der Gedanke, der mit Fingerspitzengefühl aus den Hirnwindungen gezogen wird, drückt nicht mehr gegen die Schädeldecke.)

Samstag, 18. Juni 2011

Dunkel Munkel.

Das gute alte MS Paint also.
Anscheinend ist absolut niemand vor Cat-Content sicher. Und darum wird hier jetzt eine Katze mit geschlossenen Augen gemalt.
Die Zeitzeugin, Patrick, Gilly und das kotzende Einhorn haben's vorgemacht, also bitte:

So, nun schaut's halt nicht nur:

> Open MS paint
> Close your eyes
> Draw a cat
> Post results

Dienstag, 14. Juni 2011

Frostige Klumpen.



Ganz recht. Eine Kuh in einem romantisch-nostalgischen Fernsehapparat. Mit Kurbel. Aus Gründen.
Das ist nun nicht unbedingt die artgerechteste Haltungsvariante, aber Museen müssen sich eben nette Kleinigkeiten einfallen lassen, um die Herzen ihrer Besucher zu gewinnen. Das sind die Dinge, an die man sich Jahre später noch erinnert.

So wartet ein Rügener Museeum mit einer Miniatur eines Gletschers auf, der tatsächlich aus Eis besteht. Die bleibendste Erinnerung an meinem Besuch dort, und ganz besonders im Sommer zieht es mich zu diesem übermannsgroßen frostigen Klumpen.

Für mehr Liebe zum Detail! (Und umarmbare Indooreisansammlungen  im Sommer.)

Freitag, 10. Juni 2011

"Rosen, Tulpen, Nelken..."

Es wurde eigentlich langsam Zeit.
Wir sind beim nächsten Aufreger der Internetgemeinde angelangt, Jun Hao Hung. Und mit ihm bei einem der streitbarsten Punkte der Internetnutzung: geistiges Eigentum.

So hat der junge Autor ("Wenn ich es könnte, dann hätte ich auch Gott umgebracht", Verlag Gesellschaftsreinigung) auf seiner Facebookseite bis vor Kurzem Textminiaturen von Twittermitgliedern ohne eine Quellenangabe veröffentlicht.
Die Twittergemeinde ist darüber nicht gerade erfreut gewesen, die Facebookmeldungen sind seit gestern gelöscht. Das wiederum stößt bei Jun Hao Hungs Facebookfreunden auf Unverständnis. Und schon ergeben sich hier in bester West-Side-Story-Manier digitale Straßenschlachten, insbesondere auf Facebook, nur leider ohne Liebespaar, und weniger getanzt wird dabei auch.

Twitter ist ein eigener Kosmos, hat schon längst eine eigene sprachstilistische Dynamik entwickelt und ist von außerhalb betrachtet nicht jedem verständlich. Vielen Facebookern dürfte der von Ironie, Einhörnern, Mett und Metaphern geprägte Sprachduktus Twitters, der sich selbst oft nicht ernst nimmt, befremdlich scheinen . Und dadurch scheinbar angreifend wirken.
Das führt zu einem Ungleichgewicht der Streitsituation.
Denn sehr viele Twitterer besitzen ebenfalls einen Facebookaccount und sind mit diesem sozialen Netzwerk vertraut, doch wenige Facebooker haben einen genaueren Blick auf das Anfangs scheinbar dornenheckenumgebende Twitter geworfen. Die Mikrobloggingplattform bedarf zum Verständnis einer größeren Aufmerksamkeit.

Facebookfreunde Hungs vermissen "seine" Statusmeldungen, und greifen die nun inzwischen als Quelle eben dieser herausgestellte Plattform Twitter als solche an.
Willkommen in der Welt der Paradoxien.

Ein beliebtes Argument schien mir bei der Kommentarlektüre der Umstand zu sein, dass auch nicht jeder eine Quellenangabe mache, wenn ein Witz weitererzählt wird.
Abgesehen davon, dass als Quelle der meisten schlechten Witze wohl Fips Asmussen angegeben werden könnte, vertrete ich hier eine Art Volksmund-Theorie.
Stand früher in meinem Poesiealbum ein "Rosen, Tulpen, Nelken...", dann freilich ohne Quellenangabe. Doch wurde mir "ohne Bedenken" eine Ofenkachel schriftlich überreicht, so war dahinter sehr wohl ein Herr Joachim Ringelnatz vermerkt.
Viele Witze sind gewissermaßen überliefert, eine Quelle nicht auszumachen. Doch wenn wir Zeugen werden dürfen, wie sich Popkulturcomediens Shirtsprüche, Künstlernamen u.ä. schützen lassen, müsste ein Gefühl dafür entstehen, das geistiges Eigentum existiert. Selbst wenn es mehr oder weniger als erheiternd zu bezeichnen ist.

Weiteres Argument der Kommentatoren der Jun Hao Hung-Page auf Facebook: das Internet sei kein realer Raum, was dort mit geäußerten Gedanken geschehe, irrelevant.
In diesem Zusammenhang also eine von mir wenig geliebte "Reingestellt, selber Schuld."-Ansicht, die die Existenz des Web 2.0 praktisch leugnet bzw. es, wenn immerhin in seinem Dasein ja evt. doch anerkannt, zum rechtsfreien Raum erklärt.
Ich kann via Internet eine Pizza bestellen, einen Artztermin organisieren oder meinen Urlaub, ich kann Papierkram ohne Papier erledigen, ich könnte mir Jun Hao Hungs Buch bestellen, ich kann selbst schreiben. Es handelt sich um meine persönliche Meinung, aber einen Raum, der, je nach Nutzungsumfang, so deutlich in meinen Alltag hineinreichen, ihn beeinflussen kann, empfinde ich nicht als irreal. Und erachte es ebenfalls als notwendig, dass er aus denselben Gründen nicht rechtsfrei wird.

"Sharing means caring", sagte mir kürzlich eine Dame, oder vielmehr ihre vom H&M-Einkauf zeugende Tragetasche.
"Sharing" ist ein aktiver Vorgang, jemand teilt. Doch gibt es einen Unterschied zwischen "Teilen" und "Nehmen".
Viele sind der Ansicht, Hung hätte nicht falsch gehandelt, denn: das sei nun mal das Internet, ein Ort, an dem "Sharing" angesagt ist. Aber er hat nicht geteilt, sondern genommen.
"Teilen" kann nur durch den Verfasser, den geistigen Eigentümer, geschehen.
"Weiterteilen" oder "Verbreiten" mit einer Quellenangabe.
"Nehmen" bedeutet, sich etwas, in diesem Fall Texte, Gedanken - mit einer Rücksichtslosigkeit in menschlicher Hinsicht, denn es handelt sich nicht um Sachtexte, sondern um Persönliches von emotionalem Wert  - zu greifen und zu veröffentlichen, hinnehmend, dass Leser sie als geistige Ergüsse des "Nehmers" verstehen müssen.
Der eigentliche Verfasser wird damit gleichermaßen prostituiert.

Ist eine Quelle vorhanden, soll sie angegeben werde. Zu schwer ist es nicht. Zitiere ich auf Facebook eine Twittereintragung, so poste ich den Link und beschreibe ihn mit einem korrekt angegebenen Zitat. Klingt aufwendig, ist aber eine Sekundenangelegenheit und stillt mein Bedürfnis nach Copy&Paste in einer Art und Weise, die absolut pc ist.

Die Einfachheit des richtigen Zitierens löst die Empörung aus, sollte es unterlassen werden.
Denn dabei handelt es sich nicht um ein Versehen, auch nicht um "Naivität", wie es der Autor so vorwegentschuldigend selbst beschreibt, sondern um einen bewussten Vorgang.
Zu welchem Zweck auch immer, darum soll es hier nicht gehen.
Doch kann ich mein Handeln, sollte es falsch sein - und im Bewusstsein um eine Quelle nicht korrekt zu zitieren ist falsch, in Hinblick auf rein zwischenmenschliche Rücksichtnahme - nicht im Vorfeld mit Naivität entschuldigen und somit Fehlverhalten zu neutralisieren versuchen bzw. es dann anscheinend schon erwogen haben.

Facebooker gehen in ihren Kommentaren zu weit, Twitterer gehen in ihren Kommentaren zu weit. Das Unverständnis halte ich auf zweitgenannter Seite für berechtigter.
Das alles im Streit um eine inzwischen daraus zurückgezogene Person.

Aber wahrscheinlich ist es zum Wochenende hin schon wieder vorbei, dann geht's hier nur noch um Grillen am Strand o.ä.. Das wäre doch mal schön.