Freitag, 10. Juni 2011

"Rosen, Tulpen, Nelken..."

Es wurde eigentlich langsam Zeit.
Wir sind beim nächsten Aufreger der Internetgemeinde angelangt, Jun Hao Hung. Und mit ihm bei einem der streitbarsten Punkte der Internetnutzung: geistiges Eigentum.

So hat der junge Autor ("Wenn ich es könnte, dann hätte ich auch Gott umgebracht", Verlag Gesellschaftsreinigung) auf seiner Facebookseite bis vor Kurzem Textminiaturen von Twittermitgliedern ohne eine Quellenangabe veröffentlicht.
Die Twittergemeinde ist darüber nicht gerade erfreut gewesen, die Facebookmeldungen sind seit gestern gelöscht. Das wiederum stößt bei Jun Hao Hungs Facebookfreunden auf Unverständnis. Und schon ergeben sich hier in bester West-Side-Story-Manier digitale Straßenschlachten, insbesondere auf Facebook, nur leider ohne Liebespaar, und weniger getanzt wird dabei auch.

Twitter ist ein eigener Kosmos, hat schon längst eine eigene sprachstilistische Dynamik entwickelt und ist von außerhalb betrachtet nicht jedem verständlich. Vielen Facebookern dürfte der von Ironie, Einhörnern, Mett und Metaphern geprägte Sprachduktus Twitters, der sich selbst oft nicht ernst nimmt, befremdlich scheinen . Und dadurch scheinbar angreifend wirken.
Das führt zu einem Ungleichgewicht der Streitsituation.
Denn sehr viele Twitterer besitzen ebenfalls einen Facebookaccount und sind mit diesem sozialen Netzwerk vertraut, doch wenige Facebooker haben einen genaueren Blick auf das Anfangs scheinbar dornenheckenumgebende Twitter geworfen. Die Mikrobloggingplattform bedarf zum Verständnis einer größeren Aufmerksamkeit.

Facebookfreunde Hungs vermissen "seine" Statusmeldungen, und greifen die nun inzwischen als Quelle eben dieser herausgestellte Plattform Twitter als solche an.
Willkommen in der Welt der Paradoxien.

Ein beliebtes Argument schien mir bei der Kommentarlektüre der Umstand zu sein, dass auch nicht jeder eine Quellenangabe mache, wenn ein Witz weitererzählt wird.
Abgesehen davon, dass als Quelle der meisten schlechten Witze wohl Fips Asmussen angegeben werden könnte, vertrete ich hier eine Art Volksmund-Theorie.
Stand früher in meinem Poesiealbum ein "Rosen, Tulpen, Nelken...", dann freilich ohne Quellenangabe. Doch wurde mir "ohne Bedenken" eine Ofenkachel schriftlich überreicht, so war dahinter sehr wohl ein Herr Joachim Ringelnatz vermerkt.
Viele Witze sind gewissermaßen überliefert, eine Quelle nicht auszumachen. Doch wenn wir Zeugen werden dürfen, wie sich Popkulturcomediens Shirtsprüche, Künstlernamen u.ä. schützen lassen, müsste ein Gefühl dafür entstehen, das geistiges Eigentum existiert. Selbst wenn es mehr oder weniger als erheiternd zu bezeichnen ist.

Weiteres Argument der Kommentatoren der Jun Hao Hung-Page auf Facebook: das Internet sei kein realer Raum, was dort mit geäußerten Gedanken geschehe, irrelevant.
In diesem Zusammenhang also eine von mir wenig geliebte "Reingestellt, selber Schuld."-Ansicht, die die Existenz des Web 2.0 praktisch leugnet bzw. es, wenn immerhin in seinem Dasein ja evt. doch anerkannt, zum rechtsfreien Raum erklärt.
Ich kann via Internet eine Pizza bestellen, einen Artztermin organisieren oder meinen Urlaub, ich kann Papierkram ohne Papier erledigen, ich könnte mir Jun Hao Hungs Buch bestellen, ich kann selbst schreiben. Es handelt sich um meine persönliche Meinung, aber einen Raum, der, je nach Nutzungsumfang, so deutlich in meinen Alltag hineinreichen, ihn beeinflussen kann, empfinde ich nicht als irreal. Und erachte es ebenfalls als notwendig, dass er aus denselben Gründen nicht rechtsfrei wird.

"Sharing means caring", sagte mir kürzlich eine Dame, oder vielmehr ihre vom H&M-Einkauf zeugende Tragetasche.
"Sharing" ist ein aktiver Vorgang, jemand teilt. Doch gibt es einen Unterschied zwischen "Teilen" und "Nehmen".
Viele sind der Ansicht, Hung hätte nicht falsch gehandelt, denn: das sei nun mal das Internet, ein Ort, an dem "Sharing" angesagt ist. Aber er hat nicht geteilt, sondern genommen.
"Teilen" kann nur durch den Verfasser, den geistigen Eigentümer, geschehen.
"Weiterteilen" oder "Verbreiten" mit einer Quellenangabe.
"Nehmen" bedeutet, sich etwas, in diesem Fall Texte, Gedanken - mit einer Rücksichtslosigkeit in menschlicher Hinsicht, denn es handelt sich nicht um Sachtexte, sondern um Persönliches von emotionalem Wert  - zu greifen und zu veröffentlichen, hinnehmend, dass Leser sie als geistige Ergüsse des "Nehmers" verstehen müssen.
Der eigentliche Verfasser wird damit gleichermaßen prostituiert.

Ist eine Quelle vorhanden, soll sie angegeben werde. Zu schwer ist es nicht. Zitiere ich auf Facebook eine Twittereintragung, so poste ich den Link und beschreibe ihn mit einem korrekt angegebenen Zitat. Klingt aufwendig, ist aber eine Sekundenangelegenheit und stillt mein Bedürfnis nach Copy&Paste in einer Art und Weise, die absolut pc ist.

Die Einfachheit des richtigen Zitierens löst die Empörung aus, sollte es unterlassen werden.
Denn dabei handelt es sich nicht um ein Versehen, auch nicht um "Naivität", wie es der Autor so vorwegentschuldigend selbst beschreibt, sondern um einen bewussten Vorgang.
Zu welchem Zweck auch immer, darum soll es hier nicht gehen.
Doch kann ich mein Handeln, sollte es falsch sein - und im Bewusstsein um eine Quelle nicht korrekt zu zitieren ist falsch, in Hinblick auf rein zwischenmenschliche Rücksichtnahme - nicht im Vorfeld mit Naivität entschuldigen und somit Fehlverhalten zu neutralisieren versuchen bzw. es dann anscheinend schon erwogen haben.

Facebooker gehen in ihren Kommentaren zu weit, Twitterer gehen in ihren Kommentaren zu weit. Das Unverständnis halte ich auf zweitgenannter Seite für berechtigter.
Das alles im Streit um eine inzwischen daraus zurückgezogene Person.

Aber wahrscheinlich ist es zum Wochenende hin schon wieder vorbei, dann geht's hier nur noch um Grillen am Strand o.ä.. Das wäre doch mal schön.

10 Kommentare:

  1. Also, ich habe die geschilderte Kabale nicht mitbekommen, weil ich keine Standard-Twitterer auf dem Schirm habe und auch wenig Facebook mache.

    Der Hauptunterschied zwischen beiden Substraten scheint mir dieser zu sein: Facebook ist einfach unendlich größer als Twitter. Auf facebook sind "alle", also Leute aller erdenklichen politischen, sozialen, kulturellen, bildungsmäßigen (...) Ausrichtung. Während zumindest der deutsche Twitter einfandfrei von einer bestimmten Kategorie Mensch dominiert wird: Social-Media-Hintergrund, linksliberal, flüchtige Bildung, grün wählend. "Twitter ist das Medium der Berliner", so hat es ein Freund von mir mal auf den Punkt gebracht.

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  2. Sehr gut geschrieben!

    (Dass Jun auf seiner Seite alle Kommentare von Twitterern löscht, macht das ganze Thema auch nicht besser, da so alles einseitig diskutiert wird.)

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  3. wunderbar auf den punkt gebracht.

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  4. Vielen lieben Dank auch Dir, Nadine! <3

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  5. Du kannst gut schreiben! Das haben sicherlich schon viele gesagt, aber noch mehr Komplimente können ja nicht schaden.

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  6. Schön geschrieben!
    Liebe Grüße und Peace für alle-
    Fitz

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  7. Peace. Flowers. Freedom. Happiness!<3
    Lieben Dank, Fitz!

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